Fasttnachttollerei gegen die Schwellenangst

Der Christbaum-Abräumtag ist immer einer jener Übergangsmomente, wo Schokolade zum Frühstück nicht nur folgerichtig, sondern lebensnotwendig ist. Während das Schmücken im Kreis der Lieben, am besten mit Life-Musikuntermalung ( mit zunehmenden Alter der Jugend sogar immer mehr in beabsichtigter Polyphonie) erfolgt , vollziehe ich den Tannenentkleidungsritus bewusst alleine, in Stille, und programmierter Deprimiertheit. Und dann noch die Jänner-Feiern, wer kommt denn bitte nach den Weihnachtsfeiertagen auf die Welt?

Der Leser möge mir nachsehen, dass die Analyse biographischer Spuren pränataler Einflüsse, nicht erfüllter kindlicher Sehnsüchte und vorhersehbarer Wiedereinstiegsstressoren auch weiterhin in der Kiste „Vergangenheitsbewältigung“  dem  Vermotten preisgegeben ist. Interessant scheint mir vielmehr die Tatsache, dass längst veränderte Prämissen, warmer Nachklang von sehr schönen Begegnungen und  Vorfreude auf das kommende Lebensjahr, die Grundstimmung der Trauer und Verunsicherung mildern, aber nicht umpolen können.

Meine Diagnose lautet: Ich habe Schwellenangst. Für Übergänge, wie Zusammentreffen, Auseinandergehen, Neubeginn, Abschiede brauchen wir Rituale. Sie geben uns Halt, Vertrautheit, Orientierung im Augenblick des Wandels, sie bahnen Schienen für das Teilen der aufkommenden Emotionen, sie richten unseren Blick auf das Werdende. Sogar das von vielen zurecht in ihrer Exzessivität und Selbstverständlichkeit  heute nicht (mehr) geliebte Feuerwerk war einst dazu gedacht, die Angst vor dem Neuen zu bannen, ihr Form und Ausdruck zu geben, und gleichzeitig unseren Blick auf das Schöne im Kommenden, nach oben oder in die Weite zu richten.

Die Fastnachtmasken halten uns Lieblichkeit und Grausamkeit des anbrechenden Jahres in überdimensionalen und grotesken Bildern vor Augen. Dabei wird gescheppert, gejohlt, geschimpft, gelaufen und gelacht – das bringt Bewegung in winterstarre  Angstblockaden, die im Reptiliengehirn aktivierte Fluchtenergie darf sich endlich entladen.  

Übergangsrituale müssen wir manchmal erst erfinden. Ob das Warten auf den Deutschkurs bis zum positiven Bescheid des Asylantrags und die mehrfache Transferierung von einem Flüchtlingslanger ins nächste zur Stabilisierung von Ankommenden und Aufnehmenden beiträgt, ist fraglich. Willkommensabende, Essensausgabe am Bahnhof, schon erlebt mit Gesang, Tanz und Cliniclowns, lösen nicht das politische Problem, aber sie mildern das psychische auf allen Seiten.

Somit verordne ich mir nach der wichtigen Rückzugsphase eine ordentliche Tollerei. Die Polkappen schmelzen weg? Raus aufs Eis, am besten mit Öffis (falls ich es, dank neuem Fahrplan, zur Stoßzeit schaffe oder als Westwienerin zum Hauptbahnhof finde).  Der Krieg schwappt vor die Haustür? Her mit den Konflikten.  Die politische Klima wird rauher? Auf in die Diskussionsrunde.

 

Den Christbaum lass ich noch draußen stehen und schau ihm zu, wie er die Nadeln verliert. Vielleicht häng ich noch ein paar „Ballastabwerfsymbole“ dran. Da dürfen sogar meine Lieben mitmachen.  Wenn wir ihn dann entsorgen, weiß ich, dass unter den Nadeln die Frühlingszwiebeln schon die Blätter spitzen.

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